ADFC-Fachtagung 2019: Sichere Kreuzungen
Schon lange fordert der ADFC neue Konzepte für fahrradfreundliche Kreuzungen. Deshalb veranstaltete der Bundesverband am 26. September eine Fachtagung zum Thema „Sichere Kreuzungen für den Radverkehr“.
Burkhard Stork begrüßte die etwa 170 Teilnehmenden, darunter waren Planerinnen und Planer, aber auch Vertreter*innen von Politik und Verbänden, und sagte: „Man muss die Menschen zum Radfahren einladen und dafür braucht es einladende Infrastruktur.“ Deshalb sei es jetzt, wo die Debatte um mehr Radverkehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, Zeit sich den Kreuzungen anzunehmen. „Eine deutsche Lösung für sichere Kreuzungen gibt es noch nicht. Wir müssen sie gemeinsam suchen“, so Stork.
Situation in Deutschland
„Wir müssen etwas für die Verkehrssicherheit des Radverkehrs tun“, eröffnete Jörg Ortlepp von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) die Fachvorträge und wies darauf hin, dass Zweidrittel der Unfälle an Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten passieren. Er plädierte dafür Kreuzungen zu vereinfachen und zu entzerren. Wesentlich sei, dass man schnell erkennen und begreifen kann, wie sie funktionieren. Vor allem eine gute Sichtbeziehung zwischen den Verkehrsteilnehmenden sei wichtig. Ob nun geschützte Kreuzungen, die es in den Niederlanden gibt und die in anderen Ländern wie den USA, Großbritannien und Kanada adaptiert wurden, die Lösung sind, dafür fehlen bisher belastbare Zahlen. „Das muss man ausprobieren und nachschauen“, so Ortlepp. Getrennte Signalisierung sei ein gutes Mittel, um die Sicherheit an Kreuzungen zu verbessern, ebenso wie die Einführung eines Lkw-Abbiegeassistenten.
Video: Vortrag: Johan Diepens zu Gestaltungselementen von sicheren Kreuzungen. Weitere Videos auf youtube und Stichwort ADFC
Geschützte Kreuzungen
Mit dem Vortrag von Johan Diepens von Mobycon, einem Beratungsunternehmen für nachhaltige Mobilitätslösungen, ging der Blick in die Niederlande. „Eine Kreuzung muss einfach und selbsterklärend sein“, betonte auch er und berichtete von unterschiedlichen Kreuzungslösungen, die in den Niederlanden je nach Geschwindigkeit gestaltet werden. Kreisverkehre, bei denen Fuß- und Radverkehr Vorrang vor dem Autoverkehr haben, funktionieren gut, weil es weniger Konfliktpunkte gibt. Schlüsselaspekt sei der 90-Grad-Winkel, der eine gute Sichtbeziehung zwischen Rad- und Autoverkehr erlaube. Auch geschützte Kreuzungen, bei denen es zusätzliche Bordsteine gibt und die mit Farbe markiert sind, würden gerne errichtet. Bei dieser Lösung seien die Haltelinien für den Autoverkehr zurückgesetzt und es gäbe ausreichend Platz für den Fußverkehr.
Getrennte Ampelphasen
Über das Thema Ampelschaltungen referierte Emil Tin von der Stadt Kopenhagen. „Komplett getrennte Ampelphasen sind für die Sicherheit am besten“, sagte er, zum Beispiel wenn Radfahrende vor den Autos Grün bekommen. Das sei vorteilhaft, wenn die Radfahrenden vorher an der Ampel gestanden haben, kommen sie hingegen bei Grün an, sei der Vorteil weg. Er gab zu bedenken, dass getrennte Ampelphasen den Verkehr insgesamt langsamer machen. Außerdem berichtete er von einigen Projekten wie der Grünen Welle für Radfahrende bei 20 km/h, intelligenter Straßenbeleuchtung oder der App „Green Catch“, die Kreuzungen für Radfahrende sicherer machen und ein besseres Vorankommen ermöglichen sollen.
Stadtentwicklung und Radverkehr: Die besten internationalen Ideen
Immer mehr Kommunen entwickeln innovative Konzepte für lebenswerte Orte mit dem Menschen im Mittelpunkt durch weniger Autoverkehr und mehr Platz fürs Fahrrad. Ihr Ziel ist es, neben der Einsparung von Treibhausgasemissionen, den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen und so für alle vor Ort die Lebens-, Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit zu verbessern. Im Projekt „InnoRAD“ wurden besonders erfolgreiche Best- Practice-Beispiele aus der internationalen Radverkehrsförderung ausgewählt und deren Anwendung im deutschen Rechtsrahmen geprüft. Von den Superblocks in Barcelona über die autofreien Tage in Bogotá bis zu den Mini-Hollands in London geht es den politischen Entscheidungsträger*innen vor allem um eines: Sie wollen lebenswerte Stadträume für die Menschen schaffen, die sich in der Stadt bewegen. Das Booklet InnoRAD - Stadtentwicklung und Radverkehr: Die besten internationalen Ideen zeigt Wege auf, wie auch in Deutschland innovative Ideen aus dem Ausland umgesetzt werden können, um den Radverkehrsanteil zu erhöhen. Im Zentrum der Recherchen standen Städte, die es geschafft haben, in relativ kurzer Zeit viel zu verändern. Das Booklet steht in der blauen Medienbox zum Download zur Verfügung.
Impulse aus der Praxis
Kürzere Impulsvorträge gaben anschließend einen Einblick in die Praxis. Timm Schwendy von „Darmstadt fährt Rad“ erzählte von den Erfolgen durch den Radentscheid. So sei in nur zwei Tagen der erste geschützte Radfahrstreifen errichtet worden. Durch kleinere Sofortmaßnahmen wie Trixispiegel oder vorgezogene Haltelinien für Radfahrende sollen Kreuzungen sicherer werden. Außerdem habe sich die Stadt zu Schutzkreuzungen bekannt.
Merja Spott von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz berichtete, wie Berlin den Umgestaltungsprozess von Kreuzungen angehe. Mit dem Mobilitätsgesetz habe sich die Hauptstadt der Vision Zero verschrieben und werde in den nächsten Jahren viele unfallträchtige Kreuzungen umbauen. In einem Workshop, der zusammen mit einem niederländischen Planungsbüro stattfand, habe sich die Senatsverwaltung mit dem Thema „Geschützte Kreuzungen“ befasst. Ihr Fazit: Es gibt nicht den einen idealen Kreuzungsentwurf, sondern verschiedene Elemente, die in unterschiedlichen Situationen angewendet werden. Da belastbare Zahlen zur Sicherheit von geschützten Kreuzungen fehlen, soll es 2020 Verkehrsversuche geben, die anschließend ausgewertet werden.
In Großbritannien gibt es bereits geschützte Kreuzungen, wie Richard Butler von der Metropolregion Greater Manchester, berichtete. Bisherige Kreuzungskonzepte hätten verschiedene Schwachstellen, daher habe man sich die geschützten Kreuzungen in den Niederlanden zum Vorbild genommen. Durch andere Gesetze in Großbritannien ließen sich diese nicht 1:1 übertragen. Mit den sogenannten „Cyclops“ gäbe es aber ein ähnliches Modell.
Die Podiumsdiskussion zum Abschluss diskutierte strittige Punkte. Ludger Koopmann vom ADFC-Bundesvorstand sprach das Kernproblem an: „In Deutschland sind wir zu zurückhaltend, zu feige. Wir müssen mehr ausprobieren. In dem Tempo werden wir die Verkehrswende nicht mal ansatzweise schaffen.“
Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.
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